Montag, 9 Uhr 50. Einmal im Monat versammelt Sägemeister
seine Geschäftsführer zur GF-Sitzung. Die Termine gibt
es schon im voraus für das ganze Jahr, die Tagesordnung
aber erst Freitag abends. Wer am Freitag vor 19 Uhr nach
Hause geht, hat eben keine Tagesordnung. Dabei ist das
eigentlich Interessante an der Einladung nicht, welche
Inhalte vorgesehen wurden, sondern wer diesmal überhaupt
daran teilnehmen darf. So mancher Geschäftsführer ist
schon per Flugzeug angereist um festzustellen, dass er
gar nicht eingeladen wurde. Aber im Moment laufen die
Geschäfte ganz gut, der Teilnehmerkreis ist seit einigen
Monaten recht stabil. 10 Minuten vor Beginn kommen also
die ersten Teilnehmer und beginnen mit ihren
Vorbereitungen – Kaffee einschenken, Tee suchen,
Schokolade essen, unverbindlicher small talk. Die
Sitzung lässt nichts wirklich Entscheidendes erwarten,
denn Entscheidungen trifft Sägemeister allein. Wenn er
sie trifft. Aber man erfährt meist doch das eine oder
andere Neue. Eigentlich ist das der einzige echte
Informationsfluss vom Vorstand nach unten. Natürlich
wird in dieser Sitzung auch nicht diskutiert, dafür ist
der Teilnehmerkreis viel zu groß, wie Sägemeister immer
betont. Sie ist nur eine Bühne für sein Solo-Programm.
Als Erster kommt Herr Sichelhügler, der Personalchef. Er
ist heute etwas bedrückt und geht sofort auf Alwar, den
Marketingleiter, zu, als dieser hereinkommt. „Herr Alwar,
wissen sie schon wer gekündigt hat?“ „Hmm“, brummt Alwar,
als ob er nachdenken würde, „mir ist jeder recht.“ „Herr
Fink, der Projektleiter bei der Ligerena“, sprudelt
Sichelhügler hervor, „das wird den Kiesel sicher nicht
freuen.“ Herr Kiesel ist Vorstand bei der Ligerena,
einer der größten Kunden von S & B. Die Kündigung könnte
ihm einen Vorwand liefern, den Projektleiter in Zukunft
von der Firma B-chance zu nehmen. An sich eine
kompetenzlose Truppe, deren Mitarbeiter lediglich im
Produzieren von Papier, sehr viel Papier, und heißer
Luft gut sind. Aber Kiesel hat, aus welchen Gründen auch
immer, Vertrauen zu ihnen.
10 nach 10 erscheint Sägemeister, offensichtlich gut
gelaunt. Wie in der Schule verstummen schlagartig alle
Gespräche, jeder eilt an seinen Platz. „Meine Herren“,
beginnt Sägemeister, Damen sind in dieser Runde ja nicht
vertreten, „Herr Fink hat gekündigt, wie ich gerade von
Herrn Kiesel erfahren habe. Unsere Kunden sind wieder
einmal besser informiert als ich. Ich hoffe, dass sie
schon einen Ersatz haben Herr Sichelhügler, denn Herr
Kiesel hat schon einen. Unser Programm zur
Fluktuationsreduktion wirkt ja wunderbar.“
Sichelhügler verzieht das Gesicht vor Schmerzen. Seit
Donnerstag versucht er Sägemeister zu informieren, seit
einem Jahr versucht er ein OK für seine neue
Personalstrategie zu bekommen, die vor allem die
Projektleiterprobleme lösen würde. Aber es wird von ihm
jetzt keine Antwort erwartet. Sägemeister führt seinen
Monolog fort und beeindruckt sich selbst immer mehr.
„Was ist der Unterschied zwischen einem Zitronenfalter
und einem Geschäftsführer bei S & B? Keiner, denn ein
Zitronenfalter faltet keine Zitronen!“ Pause.
Sägemeisters Gesichtsausdruck wirkt recht befriedigt.
„Herr Sichelhügler, sie präsentieren mir bis heute Abend
einen Ersatz, sonst machen sie es selbst, denn diese Art
von HR – Arbeit hat ja keinen Sinn. Ich muss jetzt
gehen, denn leider trägt hier der Vorstand immer noch
die operative Last. Herr Burscher wird die Sitzung zu
Ende bringen.“